Überschreibungen

„Kapitalismus ist nur eine Geschichte.

Religion ist nur eine Geschichte.

Das Patriarchat und die Vorherrschaft der Weißen sind nur Geschichten.

Es sind die großen Ordnungsmythen, die unsere Gesellschaften definieren und unsere Zukunft bestimmen,

und ich glaube – ich hoffe -, dass sie nun einer nach dem anderen umgeschrieben werden.“
Laurie Penny, in: Bitch Doktrin, 2017

 

Die Basler Dramaturgie fordert Überschreibungen schon seit langem, eigentlich schon seit Dürrenmatt. Die großen und klassischen Stoffe, die wir so lieben, weil wir mit ihnen gewachsen sind, sagen uns bei näherer Betrachtung: nichts. Zumindest nichts über uns. Wir staunen über Museumsstücke. Die vielen Inszenierungen, die uns Regie, Dramaturgie und Schauspiel seit Jahrzehnten als Pop oder Echo verkaufen, bleiben viel zu oft in den alten Texten stecken und rascheln. Sie trimmen den Senior und die Seniorin nur auf neu. Sie gehen der Grammatik nicht auf den Grund.

 

Dabei geht es bei Überschreibungen genau darum. Der Begriff „Überschreibung“ kommt aus der Welt der Software-Programmierung, aus der objektorientierten Programmierung. „Überschreibung“ bezeichnet dort die Überwindung einer älteren Grammatik: Das eine Programm überschreibt ein älteres Programm.

 

„Brunhild. Die Geschichte der Nibelungen aus der Sicht einer Betroffenen“ überschreibt viele alte Texte, die sich mit dem Nibelungen-Mythos auseinandergesetzt haben. Und hoffentlich überschreibt es damit auch das Narrativ der treuen Männer und der streitsüchtigen Frauen, denn das ganze Konzept der überwältigten Frau und ihrer verletzten Eitelkeit, auch noch als National-Epos verbrämt, ist zutiefst beschämend.

 

Zwar schimmern in so Überschreibungen die alten Texte durch wie ein Blutfleck bei Edgar Wallace, das Überschriebene ermöglicht ja erst das Überschreiben, und doch ist etwas komplett anders: Das Überschreiben, die Diskussion der alten Texte, die neuen Texte, die dann entstehen, bringen die Gegenwart wieder zur Erscheinung. Im besten Fall entsteht dann ein eigenes, neues Stück mit einem schönen, alten Stoff. ;)

 

Lyriden*18